Plastische Orte:
URSPRUNG

Die Skulptur Ursprung öffnet den Raum zwischen der Drostei und dem Pinneberg Museum. Wo vorher der Weg an den beiden Gebäuden vorbei die Wahrnehmung bestimmt hat, durchbricht nun die Achse zwischen den installierten Spiegel und dem Metallobjekt auf seinem Sockel den alltäglichen Fluss und regt zum Stehenbleiben und Entdecken an.

Hervorgegangen ist Ursprung aus einer besonderen Kooperation: Die Künstler*innen Marion Inge Otto-Quoos (mioq; Pinneberg), Karl-Heinz Boyke (Uetersen) und Fabian Vogler (Bargum) vertreten ganz unterschiedliche künstlerische Positionen, die in gemeinsamen Treffen aber zum großen Teil auch per digitaler Kommunikation in einer einzigen Arbeit zusammenfinden sollten. Die aus diesem Austausch entstandenen Ideen und Skizzen für ein Kunstwerk wurden zur Probe kleinformatig anhand eines 3D-Druckers umgesetzt. Kunst aus dem 3D-Drucker gibt es schon etwas länger, die wachsende Verfügbarkeit dieser Technik außerhalb der Industrie lässt das Feld für Experimente stetig wachsen. Dieser Schritt zwischen der Entwicklung von Entwürfen und der endgültigen Ausführung war für den Entstehungsprozess der nun in Pinneberg aufgestellten Skulptur unerlässlich – nicht nur konnten so die jeweiligen Gedanken zusammengeführt werden, sondern es wurden darüber beständig genauso inhaltliche Fragen aufgeworfen: Welche Rolle spielen die Materialität und die Maschine selbst für das gemeinsame Objekt?

Der hier angestoßene Prozess war völlig ergebnisoffen, fest stand jedoch, dass mit dieser Schleswig-Holstein-überspannenden, digital unterstützten Vorgehensweise der Blick auf die ländlichen Räume und deren Potential gelenkt werden sollte. Dank der vorangetriebenen Erschließung dieser Gebiete im Rahmen der Digitalisierung, können in Zukunft deren künstlerische Potentiale noch stärker genutzt werden – sowohl in der Produktion als auch in der Teilhabe durch das Publikum. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie postuliert:

„Der digitale Wandel ist in vollem Gange. Die technologischen Entwicklungen sind rasant und verändern die Art, wie wir uns informieren, wie wir kommunizieren, wie wir konsumieren – kurz: wie wir leben. Diesen Wandel wollen wir als Chance begreifen, mehr Wohlstand und mehr Lebensqualität für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen (…).“1

1 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/digitalisierung.html (eingesehen am 10.06.2021

Kunst und Kultur werden hier dementsprechend konsequent mitgedacht, als ein wichtiger Faktor. Im Bereich der Wissenschaft sprechen wir bei der Verknüpfung von Digitalität und z.B. Kultur von den digital humanities, also den digitalen Geisteswissenschaften. Es gilt zu ergründen, wie die neuen Medien und Wege dazu beitragen, neue Erkenntnisse zu gewinnen, Bekanntes zu bewahren und zugänglich zu machen. Dazu gehört die Digitalisierung der bereits vorhandenen Objekte, so dass man etwas über sie erfahren kann, selbst wenn man nicht vor Ort ist – oder per App Informationen zur Verfügung stehen, die über die meist kurz gehaltenen Beschriftungen der Kunst im öffentlichen Raum weit hinaus gehen. Hierbei wird deutlich, dass es um ein Miteinander, eine Synergie von digitalen Angeboten und dem Erleben in Präsenz geht. Hierin liegt die Chance der aktuellen Entwicklungen, die sich auch die drei beteiligten Künsterl*innen zu Nutze gemacht haben, in dem sie den unmittelbaren Austausch und gleichzeitig die digitalen Möglichkeiten ausgeschöpft haben.
Das Ergebnis, wie es am Eingang des Parks zu finden ist, spiegelt diesen Ansatz ebenfalls wieder. Die Installation verbindet den musealen Innen- mit dem natürlichen Außenraum. Die organischen Rundungen der Ei-Form ergeben mit dem kantigen Sockel ein harmonisches Ganzes. Durch die Anbringung von Spiegeln vervielfältigen sich nun Objekt, Bauten, Umwelt und die Betrachtenden, die davor Innehalten und in die Kommunikation eintreten. Immer wieder ist die Wahrnehmung den Veränderungen durch Witterung sowie den Wechsel des Betrachtendenstandpunkt unterworfen. Mittels des angebrachten QR-Codes wird das Objekt mit weiteren Kunstwerken in Schleswig-Holstein vernetzt: Das neu ins Leben gerufene Projekt Kulturgang verbindet über seine Homepage unterschiedliche Arbeiten, von denen einige konkret im Land zu besuchen sind und andere ausschließlich im digitalen Raum erfahrbar sein werden. Der Pinneberger Ursprung ist also auch in dieser Hinsicht ein Anfang und trägt die Inventarnummer 01, auf die in Zukunft viele folgen sollen.
In diesem Sinne erschließt sich das gewählte Motiv des Eis, das auch in unserer Kultur ein Sinnbild für Fruchtbarkeit und den Beginn (des Lebens) steht. Das Zerspringen der Schale, in der Arbeit durch die sichtbar belassenen Schweißnähte angedeutet, ist Befreiungsmoment und Auftakt. Die an den gegenüberliegenden Mauern angebrachten Spiegel multiplizieren dies an unterschiedlichen Orten, die sich gleichzeitig darüber miteinander verbinden.
Obwohl darin nur zweidimensionale, nicht greifbare Abbilder sichtbar sind, eröffnen Sie uns doch jeweils neue An- und Einsichten und vervollständigen unser Verständnis des Gegenstandes – eine Haltung, die sich auch auf die Verschränkung des digitalen und des realen Raumes übertragen lässt.

Verfasserin: Dr. Susanne Schwertfeger