„Transformationen“ –
(Künstlergedecke und Tafelrunde im Rahmen der Sommerateliers SH)
Oder: „Zeitenwende ist immer im Leben“
Transformationen, Wandel, Umbrüche sind aktuelle Themen der Zeit und sind der Takt jeder Lebensgeschichte. Wie erleben Künstler*innen dieses Thema, wie gestalten sie Metamorphosen, welche Haltungen und Themen fokussieren sie in ihren Arbeiten?
Die Ausschreibung für die Künstler*innen bestand darin, einen Gegenstand des Alltags, der gleichzeitig soziale Gemeinschaft repräsentiert, als Ausgangspunkt für ihre künstlerischen Arbeit zu nehmen: zum Thema „Transformationen“ sollte ein Porzellan-/Essensgedeck gestaltet werden.
Zehn Künstler*innen wurden in der Ausstellung am 10.6.11.6.2023 im Garten der kunstremise, Fahltskamp 30 in Pinneberg mit ihren Kunst-Gedecken an einer gemeinsamen Tafelrunde und im Pavillon präsentiert.
Gefördert vom Kreis Pinneberg i. Rahmen der Sommerateliers SH 2023
Ausstellung im Pavillon
Brigitta Hoeppner, mioq, gagel, Anja Badners,
feine menschen, Hommage an die Malerei, frei, Florian Huber,
HannaH Rau, Karin Hilbers, Birgit Bornemann, Karl Boyke
Foto: Oberere Reihe, mittlere Reihe, untere Reihe von links n. rechts
Bei der Finissage am Sonntag wurden Künstler*innen und Besucher*innen eingeladen an der Tischrunde mit den Kunstgedecken Platz zu nehmen. Tischrede und Moderation übernahm Cornelia Regelsberger. Sie zeigte auf, dass seit der Antike Gemeinschaften Tafelrunden gestalten und mit Regeln zu Gespräch und Tischsitten verbanden, es waren – und sind es noch – Einübungen sozialer Rücksichtnahme. Die Gespräche an der Künstler-Tafel bzw. die Objekte selbst zeigten, dass die Künstler*innen vielfach Themen in den Mittelpunkt stellten, die mit industriell veränderten Lebensmitteln und den beruflichen Zeitverdichtungen zu tun hatten, die in Folge Genuss und Gemeinschaft verhindern – immer aber stand die künstlerische Arbeit im Vordergrund.
„Zeitenwende ist immer im Leben“
Künstlerisch wurden die Materialien ausgesprochen fantasievoll eingesetzt, dass selbst „giftige“ Themen mit Ironie und Ästhetik eine verdauliche Form bekamen. XXL-Nudeln wurden von Birgit Bornemann zu spinnenbeinigen Wesen gestaltet, die das Essen verhindern und nur die Wahrnehmung des möglichen Genusses erlaubten. Eine weggeworfene Milchtüte wurde in den Händen des Bildhauers Karl Boyke zur funkelnden Tellerplastik aus gegossenem Gips. Aus Papiermüll entwarf Florian Huber ein komplettes Gedeck, dass er in einer Kieler Parkanlage sorgfältig einsammelte– das Tischgedeck wurde zum Zitat der „bürgerlicher Esskultur“. Waren frühere Tafelrunden auch Feiern der Lebensfülle und der Genüsse, so sind heutige Lebensmittel aus industrieller Produktion auf den Tellern oft ungenießbar und gefährlich.
Künstler*innen gestalteten
rund um das Thema mehrere Gedecke, die das Thema ironisch vorführten: Gifte wurden mit einem Ameisen-Köder vorgeführt (feine menschen), Zucker als ästhetischen Landschaft (Barbara Höppner), Genveränderungen wurden auf Essenstafeln abgebildet (Karin Hilbers).
Der Genuss, der eigentlich das Essen begleiten sollte und der auch seelische Nahrung bietet, wurde in der Arbeit von Gagel zur funkelnden Erinnerungsspur – längst hat die Verpackungsindustrie diese Sehnsucht in Kaufanreize umgenutzt – leere Hüllen bleiben. Familienerinnerungen thematisierten sich im Teller-Gedicht von Hannah Rau, die an die Tradition des zusätzlichen Gedecks erinnerte – ein Tafelgast, der noch erwartet wird bzw. ein verstorbener Mensch, der in Erinnerung bleiben soll.
Ein Hochzeits-Schmuckteller, der eigentlich keine praktische Funktion hat, wurde von der Künstlerin mioq präsentiert: Teller-Traditionen, die immer wieder eiserne Hochzeiten beschworen und ebensolche Bindungen.
Auch ältere Besucher*innen versetzte das ins Staunen. „Das es sowas mal gab!“
Von alten Meistern
Ich male mir
ein Gedeck auf den Tisch
von dem ich aufstand
das Sonnenlicht vorteilhaft
auf den Hals
Und vor die
französische Tapete
eine Trompete
mit blitzendem Lichtreflex
Ich zeichne mir
ein Mädchen an den Tisch
mit blondem Glanz im Haar
Wunderschön
wie verzaubert
Und einen Hund
der am Bildrand liegt
male ich mir
wenn du gegangen bist
Bildunterschrift:
Der Hund ist nun schon
drei Jahre tot.
Deine Tochter spricht nur gut von dir
im Herbst, der alle Töne schluckt.
Und deinen Teller stelle ich jetzt
zu den anderen.
HannaH Rau
Fazit:
„Kunst ist eineMethode sich zu erneuern und gut zu ernähren.“
Fotos © Andreas Harms, Anja Badners, Birgit Bornemann, Brigitta Höppner, mioq, Karl Boyke, Florian Huber
Konzept: mioq, Karl Boyke, Cornelia Regelsberger