permanent.e, 2024, Florian Huber
permanent.e
Permanent ist nur der Wandel und die Neugier.
Lara Bader
Wer A sagt…muss auch B sagen…. permanent.c war eine Konstante und permanent.d der Wandel.
permanent.e
ermöglicht Austausch!
Der nächste Termin ist in der Planung.
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permanent.e wurde am 20.12.24 in der kunstremise, Fahltskamp 30, 25421 Pinneberg eröffnet und ist bis zum 20.12.2025 zu sehen.
„E“ EISKALT ERWISCHT
Birgit Bornemann, „E“ EISKALT ERWISCHT, 2025
„Hey pssssst“
„Ja?“
„Willst du ein Eeeee?“
„Ein was?“
„Ein Eeee.“
„Ein Eeee?“
„Ja, ein Eeee.“
Konspirativ öffnet Schlemihl seinen langen Trenchcoat. In der Innentasche steckt ein Buchstabe – ein „E“. Dieses „E“ versucht er dem etwas unbeholfen wirkenden Ernie zu verkaufen, der nicht recht zu wissen scheint, was er von dem Angebot halten soll.
Es ist jene Szene aus der Kinderserie Sesamstraße, die mir in den Kopf kommt, als ich vom Projekt permanent.e höre.
Während der Straßenverkäufer Schlemihl in der Kinderserie in stets dubios wirkender Händlermanier seine Gesprächspartner*innen versucht über den Tisch zu ziehen, ist die Projekt- und Ausstellungsankündigung von permanent.e ein ehrlich gemeinter Aufruf zum Austausch.
Zum Eröffnungstag stehen wir in Pinneberg, ohne Ernie und Schlemihl, dafür mit acht Künstler*innen. Unter dem Motto „Wir tauschen aus und wer möchte… bringt ein ‚E‘ mit“ luden die Mitglieder des Kulturwerk Schleswig-Holstein in die kunstremise in Pinneberg ein.
ARNE LÖSEKANN
nahm dies wörtlich und brachte den weißen großen Buchstaben E aus einer seiner Installationen mit, den er neben seine bereits gezeigten Arbeiten aus dem letzten Jahr platzierte und diese damit wie um einen abstrakten Kommentar ergänzte.
FLORIAN HUBER
hingegen schickte einen kleinen Videoclip, in dem ein aus orangenen Hundeleckerlies zusammengelegter Buchstabe – „e“ – wackelt und sich dreht. Auch die anderen Künstler*innen der Ausstellung schickten einen solchen Clip zur Bewerbung auf der Homepage und in den Social Media Kanälen.
In der Ausstellung verblieb zudem das Schild „SOLD OUT“ von Florian Huber – ein Kommentar zum gegenwärtigen Kunst- und Immobilienmarkt. Passend zur Schau ist „expensive“ [dt. teuer] hier die alles verbindende Vokabel.
Der Austausch – zu Englisch „exchange“ – stand im Mittelpunkt des Zusammenkommens im Ausstellungsraum. Dies wurde nicht nur wörtlich genommen, indem Werke der teilnehmenden Künstler*innen vor Ort gewechselt und durch neue ersetzt oder durch weitere ergänzt wurden, sondern auch im übertragenen, dialogischen Sinn: Es wurde vor Ort miteinander gesprochen, diskutiert und analysiert. Wie gelingt ein vertiefender Austausch mit dem Publikum, wie erreicht man dieses überhaupt, was muss man anbieten, damit die Menschen kommen? Wohin mit den Werken nach einer Ausstellung, wenn das eigene Lager voll ist? Was ist die Idee hinter dem ausgestellten Kunstwerk?…
Ein paar der Fragen waren schnell beantwortet, anderes wurde rege diskutiert, mit nachhause genommen und bewog die Teilnehmenden auch noch einige Tage später dazu, sich Zeitungsartikel und ähnliches als Nachtrag zum Besprochenen gegenseitig weiterzuleiten.
Die Kunstgruppe FEINE MENSCHEN brachte Relikte aus vergangenen Performances zur Ausstellung mit, die im Rahmen eines „KUNST:FLOH“ während der Ausstellungslaufzeit erworben werden können. Der ephemere Charakter der Performance, die so nicht mehr wiederholbar ist, bleibt zwar bestehen, doch bilden ihre „Überbleibsel“ für die feinen menschen neue Extrakte, die zu Erinnerungsobjekten werden und damit die vergangenen Performances ein Stück weit am Leben halten.
Die Ausstellungsreihe geht nun ins fünfte Jahr. Unter Corona begonnen, verstand sie sich anfänglich als eine Reaktion auf den Umstand, dass die Kunst „permanent“ – also immer – da war, auch wenn Ausstellungshäuser geschlossen blieben und die Kunst dadurch dem Publikum nicht zugänglich war. Was passierte mit der Kunst und ihrer Wahrnehmung in jenen Zeiten, in der sie für sich, ohne Publikum, blieb? Während Pierre Bourdieu 1992 in einem Aufsatz behauptet: „Das Kunstwerk existiert als solches nur, wenn es von Betrachtern erfasst wird“, ging man nicht nur in Pinneberg davon aus, dass die Kunst zwar den aktiven Austausch mit ihren Betrachter*innen benötigt, die Kunst selbst jedoch auch unabhängig davon existiert und bewahrt werden muss. Getreu des Konzepts der permanent-Serie, tauschen die Beteiligten seit 2020 jedes Jahr die präsentierten Kunstwerke aus, zeigen Arbeiten, die sonst im Lager liegen und für Außenstehende unzugänglich sind.
Gepaart mit poetischen Wortreihungen präsentiert GAGEL beispielsweise in der neuen Präsentation Fotos aus ihrem eigenen Archiv auf weißen Metallplatten. Auf Magnettäfelchen ausgedruckt, erscheinen die Worte und Fotos in ihrer Anordnung schnell verschieb- und veränderbar auf dem Bildträger. Welche Worte fallen einem selbst beim Betrachten ein? Was meint gagel mit „Glauben inszenieren“ neben der Fotografie einer liegenden, betenden Skulptur? Hier werden genügend Fragen aufgeworfen, um sich rege vor den Werken auszutauschen.
Ähnliches passiert vor dem Werk von BRIGITTA HÖPPNER. Kaum zu erkennen ist das, was – ganz in Rot getüncht – auf eine Aluminiumplatte gedruckt wurde. Anknüpfend an ihre in den letzten Jahren entstandenen Serien, in denen sie sich mit dem Verlust von Erinnerungen – wieder ein Wort mit E! – eines demenziell erkrankten Angehörigen auseinandersetzt. Eingefärbt in Rot schwingt vielleicht auch ein wenig der Emotion Wut mit, die entsteht, wenn man mit Demenzkranken im Austausch steht. Die Wut über den Verlust der Person, die man kannte, über die Erinnerung, die nicht mehr geteilt werden kann, das nicht (mehr) Erkennen des Gegenübers.
MIOQs
Objekt „Schattenflotte“ hingegen scheint eine dunkle Bedrohung unserer aktuellen politischen Situation in Erinnerung holen zu wollen. Die mit Öl gefüllte durchsichtige Vogeltränke aus Plexiglas ist das Ergebnis ihrer Auseinandersetzung mit der russischen Schattenflotte. Hundert, oft alte, unzureichend gewartete Schiffe patrouillieren bekanntermaßen seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine in der Ostsee, spähen die Region aus und hinterlassen heute noch unschätzbare politische Schäden sowie solche an der Natur. Wie gehen wir damit als Gesellschaft um? Das Werk betrachtend, entspann sich schnell ein intensives Gespräch über politische Einflussnahme und Möglichkeiten des regulierenden Eingriffs.
Birgit Bornemann und Cornelia Regelsberger hingegen nahmen bereits ausgestellte Werke aus der Ausstellungsreihe permanent und ergänzten diese, beziehungsweise erweiterten sie.
BIRGIT BORNEMANN
wechselte die Spaghetti ihrer vormals präsentierten Installation durch Lametta aus und zeigt dahinter eine Fotografie eines Tellers, der nun mit Eliche-Nudeln gefüllt ist, auf den ein Elefant projiziert wird. Doch warum diese wilde Mischung? Ausgangspunkt ist ihre im Rahmen der Ausstellung rund um den Buchstaben „E“ geformte neue Alliteration „Elegante Elefanten erbeuten Eliche“.
CORNELIA REGELSBERGER
arbeitet seit jeher zu Themen des Erinnerns und Erzählens. In ihrem Projekt Museum der Orangengärtnerin setzt sich die Künstlerin mit der kolonialgeschichtlichen Vergangenheit der Orangenzucht und den damit einhergehenden patriarchalen Einschreibungen auseinander und setzt diesen die fiktive Erzählung einer weiblichen Orangengärtnerin gegenüber. Eingehäkelte Objekte werden zu Symbolen der Umdeutung von Geschichte und des Sichtbarmachens. Jedes Jahr wächst die Präsentation in der Kunstremise um ein weiteres Objekt aus der Reihe.
Am Ende des Ausstellungsrundgangs stellt sich die Frage: Was bleibt vom „E“? Vielleicht bleibt mehr, als man denkt. Denn das „E“ steht nicht nur für „exchange“, sondern auch für „Erinnerung“, „Engagement“, „Erfahrung“ – und nicht zuletzt für „Erweiterung“: des eigenen Blicks, des Verständnisses von Kunst, des Dialogs zwischen Künstler*innen und Publikum.
In einer Zeit, in der Aufmerksamkeit flüchtig ist und Bilder im Sekundentakt durch soziale Medien rauschen, setzt permanent.e auf das Gegenteil: auf Verlangsamung, Begegnung und Beständigkeit. Die Kunstwerke, die hier gezeigt werden, sind nicht bloß Objekte, sondern Gesprächsanlässe. Sie fordern heraus, laden ein, bleiben im besten Fall im Gedächtnis.
Vielleicht ist es genau das, was Schlemihl in der Sesamstraße nie ganz verstanden hat: Dass ein „E“ nicht verkauft, sondern geteilt werden will. Dass es nicht um den schnellen Tauschwert geht, sondern um den bleibenden Bedeutungswert. Und dass Kunst – so flüchtig sie manchmal erscheinen mag – dann am stärksten wirkt, wenn sie nicht nur gesehen, sondern auch erinnert, diskutiert und weitergetragen wird.
LARA BADER, Kunsthistorikerin M.A.
Birgit Bornemann
Arne Lösekann
Brigitta Höppner
feine menschen
gagel
Florian Huber
mioq
Cornelia Regelsberger
